„Die wahren Helden pfeifen unten!“

Er galt als einer der beliebtesten Schiedsrichter in der Fußball-Bundesliga. Am 14. Mai dieses Jahr pfiff Knut Kircher sein letztes Bundesligaspiel in der Münchner Allianz-Arena, danach war für den 47-Jährigen aus Rottenburg altersbedingt Schluss. Seither ist Kircher von der ersten bis zur dritten Liga als Schiedsrichter-Beobachter im Einsatz, außerdem gibt er seine Erfahrung aus 244 Bundesligaspielen und zahlreichen internationalen Begegnungen weiter. So auch am Montagabend in der Biberacher Gigelberghalle. Beim Schulungsabend für die Fußball-Schiedsrichter des Bezirks Riß hielt er ein Referat („Freude am Entscheiden“), beim dem natürlich auch manche Anekdote aus dem Bundesliga-Alltag nicht fehlen durfte. 0ace48720fc24908f7d9804f2cd56bae

Zahlreiche Fußballinteressierte waren der Einladung gefolgt, neben Schiedsrichtern auch Bezirksmitarbeiter und Vereinsvertreter. Zu Beginn blies Knut Kircher einmal laut in seine Pfeife, die Aufmerksamkeit war ihm von nun an – passenderweise 90 Minuten lang – sicher. Denn wer kann schon erzählen, dass sich nur knapp neben dem Schiedsrichterassistenten ein Dolch in den Rasen bohrte? Glücklicherweise nur die wenigsten. Kircher machte diese Erfahrung bei einer Spielleitung in Libyen. Freilich eine Ausnahmesituation. Aber, so Kircher, für einen Schiedsrichter sei es wichtig, dass er sich „nicht großartig emotionalisieren“ lässt.

Bis zu 300 Entscheidungen pro Spiel

Als Beispiel nannte er das Relegationsspiel zwischen 1860 München und Holstein Kiel im Juni 2015. Die Szene, als Kircher 1860-Spieler Kevin Schindler mit seiner linken Faust auf Abstand hält, sorgte nach der Partie für fast mehr Gesprächsstoff als das Ergebnis. Er habe sich nach dem Abpfiff gefragt, ob sein Verhalten richtig gewesen sei. Spätestens mit dem Anruf der „Bild“-Zeitung („Wir feiern Sie in der zentrale in Berlin gerade ab“) habe er die Antwort erhalten. „Ich habe mich emotionalisieren lassen.“ Der Beliebtheit von Kircher, der hauptberuflich Entwicklungsingenieur bei Daimler in Sindelfingen ist, tat dies keinen Abbruch. Das Fußballmagazin „11Freunde“ kürte die Aktion zum „Highlight des Jahres“. Unter folgendem Link könnt ihr sie nochmal sehen: https://www.youtube.com/watch?v=QTf1se4rGsE

Wie viele Entscheidungen muss ein Schiedsrichter pro Spiele treffen? Bis zu 300, erklärte Knut Kircher. 25 bis 30 Prozent davon seien „schwarz/weiß“, also völlig klare Angelegenheiten. Der Rest decke den großen Ermessensspielraum eines Schiedsrichters ab. „Das ist der Bereich, über den alle so herrlich diskutieren.“ Fehler würden zum Fußball dazu gehören, auch vonseiten der Schiedsrichter. Einen davon führte Kircher im Video vor: seinen Elfmeterpfiff im September 2015 für den FC Bayern München im Spiel gegen Augsburg. In so einem Fall gelte es, zu seinem Fehler zu stehen. „Lieber die Flucht nach vorne antreten, das hilft einem mehr.“

Für einen Schiedsrichter sei es wichtig, dass er authentisch ist. Als weitere wichtige Faktoren für eine erfolgreiche Spielleitung nannte der Rottenburger unter anderem Körpersprache, Mimik, Antizipation und Erfahrung. Der beste Schiedsrichter sei schließlich nicht der, „der mit dem Regelbuch unter dem Arm im Stechschritt über den Platz läuft“ – egal ob in der Bundes- oder Kreisliga. Dass die Schiedsrichter in den unteren Klassen (ohne Assistenten) mit speziellen Anforderungen kämpfen müssen, wurde Kircher erst neulich wieder bewusst, als er ein Bezirksligaspiel pfiff. Für die Schiedsrichter in der Gigelberghalle gab es zum Ende des Referats dann auch ein Extralob. „Die wahren Helden pfeifen in den unteren Ligen.“ Abschließend beantwortete der Ex-Fifa-Schiedsrichter noch ein paar Fragen. Unter anderem jene, mit welchen Gefühlen er auf seine Karriere zurückblickt. „Es herrscht einfach nur Freude darüber, was ich alles erreichen konnte.“